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Hat das Kundenzugang oder kann das weg? Sieben Denkanstöße für die nächste Strategie-Runde






Hat das Kundenzugang oder kann das weg? Sieben Denkanstöße für die nächste Strategie-Runde


Nach der Pandemie leben die Geschäfte wieder auf. Aber was braucht es zum Überleben? Strategien ohne digitalen Schwerpunkt kann man getrost ignorieren, sagt Stefan Wenzel.


Trotz jüngs­ter Insol­venz-Pro­gno­sen des HDE und des Vor­marschs der Del­ta-Vari­an­te im Wett­lauf mit der Impf­quo­te, liegt eine Wie­der­öff­nungs-Eupho­rie in der Luft. Bil­der von Luft­bal­lons in den Hän­den fröh­lich win­ken­der Store-Mitarbeiter:innen an den lei­der ten­den­zi­ell lee­ren Ein­gän­gen sind auf sozia­len Medi­en schwer zu vermeiden.

Das ist erst ein­mal schön und gut für das Pan­de­mie-geplag­te Gemüt. Kom­bi­niert mit der eben­so kalen­da­risch begüns­tig­ten Gefühls­la­ge ist der eine oder ande­re Markt­teil­neh­mer spür­bar geneigt, das Ende des ana­log-digi­ta­len Alb­traums vor sich zu sehen. Und so schwingt auch ein wenig digi­ta­ler Frust und ana­lo­ger Trotz in den Lin­kedIn-Posts manch eines Geschäfts­füh­rers mit. Um aber Trug­schlüs­sen ent­ge­gen­zu­wir­ken und tek­to­ni­sche Markt­be­we­gun­gen nicht zu unter­schät­zen, hier ein paar der wesent­li­chen im Schnell­durch­lauf für die anste­hen­den Strategie-Runden:


1. Online domi­niert den Markt. In Chi­na wird der Anteil des Online-Han­dels die­ses Jahr ver­mut­lich die 50%-Marke schaf­fen, in Deutsch­land ist man im Jahr 2020 ohne den spät erwa­chen­den Lebens­mit­tel­ein­zel­han­del auf 18% Umsatz-Anteil gekom­men, in eini­gen Kate­go­rien sind es schon 40%. Ten­denz über alle Seg­men­te: wei­ter stark stei­gend. Die E‑Com­mer­ce-Markt­durch­drin­gung in Deutsch­land betrug letz­tes Jahr bereits 83%. Stra­te­gien ohne digi­ta­len Schwer­punkt kann man getrost ignorieren.


2. Platt­for­men domi­nie­ren Online. Platt­for­men sind die gro­ßen Gewin­ner des Digi­tal-Booms, bei Kun­den und Anle­gern. Mehr als 50% des deut­schen E‑Commerce stammt von Markt­plät­zen, 60% davon war schon vor der Pan­de­mie bereits Ama­zon. Glo­bal ist Ama­zon allein im Jahr 2020 um ein kom­plet­tes Ebay, und in Q1 2021 um eine unvor­stell­ba­re Mil­li­ar­de US-Dol­lar gewach­sen. Pro Werk­tag. In Deutsch­land hat Ama­zon 75% des gesam­ten Online-Wachs­tums in 2020 aus­ge­macht. Aber auch Zalan­do, About You, Asos & Co. hat­ten einen Lauf. Zalan­do hat sei­ne mit­tel­fris­ti­gen Wachs­tums­zie­le gleich ein­mal auf 30 Mrd. Euro erhöht. Stra­te­gien ohne Platt­form-Kom­po­nen­te sind keine.


3. D2C wird das domi­nie­ren­de Modell. Han­dels-Platt­for­men erset­zen wei­test­ge­hend den tra­di­tio­nel­len Han­del und wer­den zur Infra­struk­tur für den Pro­dukt­ver­kauf. Dabei set­zen die Platt­for­men zur Ska­lie­rung aber nicht auf das Geschäft mit eige­nem Bestand, son­dern ver­mie­ten ihren Kun­den­zu­gang an Ver­käu­fer im Direct-To-Con­su­mer Modell (D2C). Damit wird das Ende des Who­le­sa­les auch aus die­ser Rich­tung beschleu­nigt und tra­dier­te Her­stel­ler ste­hen vor einer fun­da­men­ta­len Ände­rung ihres Betriebs­mo­dells. Wer D2C – ob über Platt­for­men oder eige­ne Touch­points – nicht als zen­tra­les Modell beherrscht, wird vom Markt ver­drängt werden.


4. D2C wird zu C2M. Ein Blick auf den chi­ne­si­schen Shoo­ting-Star Shein (aus­ge­spro­chen She-In) zeigt neue Maß­stä­be: Daten­si­gna­le aus Social Media und Such­ma­schi­nen wer­den inner­halb weni­ger Werk­ta­ge in Pro­duk­te über­setzt und in klei­nen Men­gen per Drop über die App den hoch akti­ven Usern ange­bo­ten. Der enor­me Erfolg die­ses „Realtime-Fashion“-Ansatzes bei jun­gen Kun­din­nen lässt die Nach­hal­tig­keits-Chö­re tro­cken hus­ten, zeigt aber das Poten­zi­al des daten­ge­trie­be­nen D2C. In die­ser Form heißt der Ansatz fol­ge­lo­gisch Con­su­mer-To-Manu­fac­tu­rer (C2M), weil nicht Pro­duk­te zum Teil gegen die Nach­fra­ge in den Markt gedrückt wer­den, son­dern ech­te Nach­fra­ge früh erkannt, ohne lan­ge Vor­läu­fe pro­du­ziert und ohne fahr­läs­si­ge Über­hän­ge einer gro­ßen Kun­den­ba­sis zugäng­lich gemacht wird. Was weg ist, ist weg. Ein nach­voll­zieh­bar sinn­vol­le­rer Ansatz, der in geän­der­ter Anwen­dung im Übri­gen enor­mes Nach­hal­tig­keits-Poten­ti­al für die Bran­che hat.

Moderner Handel ist mehr als reine Distribution. Es geht um wertstiftende Beziehungen für Kunden. Wer nur in Transaktionen denkt, hat im entscheidenden Erlebnis-Wettbewerb bereits verloren.

5. Mobi­le Betriebs­sys­te­me als neue Gate­kee­per. Zeit­gleich erhö­hen die gro­ßen Tech-Platt­for­men, allen vor­an die mobi­len Betriebs­sys­te­me von Apple und Goog­le, wei­ter die Schutz­mau­ern um ihren Kun­den­zu­gang. Und sie erschüt­tern unter dem neu ent­deck­ten Leit­mo­tiv des Daten- und Nut­zer­schut­zes im Vor­bei­ge­hen den Wer­be­markt. Dabei dürf­te die anste­hen­de Abschaf­fung von Coo­kies im Chro­me-Brow­ser sowie der Schutz vor sei­ten­über­grei­fen­dem Tracking und der Dyna­mi­sie­rung von Email-Inhal­ten bei Apple erst der Anfang sein. Goog­le hat jüngst ange­kün­digt, kom­plet­te Inhal­te von Web­sei­ten, aber auch Pod­casts und Vide­os such­bar zu machen. Damit wer­den dann nahe­zu rest­los alle digi­ta­len Inhal­te auf Goog­le ver­füg­bar. Goog­le dankt für die Inhal­te, aber Traf­fic gibt es dafür nicht. Der ein­zi­ge, wenn­gleich anspruchs­vol­le Weg raus aus der Fal­le ist, als Mar­ke so stark zu sein, dass User die Brand-Web­site direkt ansteuern.


6. Mar­ke und eige­ne Daten sind alles. Neben Platt­for­men zäh­len Mar­ken zu den mög­li­chen Pro­fi­teu­ren der Ent­wick­lun­gen. Im Wind­schat­ten von Social Media- und Platt­form-Dyna­mik sind unzäh­li­ge „digi­tal nati­ve-Mar­ken“ ent­stan­den, die in der alten Welt kei­ne Reich­wei­te und vor allem kei­ne Dis­tri­bu­ti­on gefun­den hät­ten, heu­te aber den Markt in Bewe­gung hal­ten. Moder­ner Han­del ist aber mehr als rei­ne Dis­tri­bu­ti­on, es geht um wert­stif­ten­de Bezie­hun­gen für Kun­den. Wer in Trans­ak­tio­nen denkt, hat im ent­schei­den­den Erleb­nis-Wett­be­werb bereits ver­lo­ren. Und mit Erleb­nis ist nicht der Feu­er­spu­cker am Ein­gang oder Ähn­li­ches vom Sor­ti­ment Los­ge­lös­tes gemeint. Das ist, neben kom­mer­zi­el­len Aspek­ten, der Grund auch für vie­le eta­blier­ten Mar­ken, voll auf D2C zu set­zen. In einer weit­ge­hend kom­mo­di­fi­zier­ten Pro­dukt­welt ent­schei­det die Strahl­kraft der Mar­ke und die ganz­heit­li­che Qua­li­tät des Erleb­nis­ses mit der Mar­ke, ob man im Rele­vant-Set der Ziel­grup­pe ist oder eben nicht. Klingt wie eine Bin­se, ist es aber nicht.


7. Wert­stif­ten­de Anders­ar­tig­keit als Gegen­an­ge­bot. Bei aller Domi­nanz hat Ama­zon 2020 in den USA zum ers­ten Mal in sei­ner Geschich­te Markt­an­tei­le ver­lo­ren. Und zwar vor allem an Shopi­fy, der Shop-Tech­no­lo­gie vie­ler krea­ti­ver D2C-Play­er. In ihrem auf Brei­te, Volu­men und Effi­zi­enz opti­mier­ten Ansatz kre­ieren Platt­for­men zwangs­läu­fig unbe­dien­te Vaku­en. In Cus­to­mer-Expe­ri­ence und Spe­zia­li­sie­rung lie­gen wahr­schein­lich die größ­ten Ein­falls­to­re für Wett­be­wer­ber. Same same but dif­fe­rent reicht aber nicht. Mut zum Pro­fil und ech­te, No-Bull­shit-Kun­den­zen­trie­rung ist gefragt. Die gute Nach­richt ist: an digi­ta­ler Tech­no­lo­gie wird es zumin­dest nicht schei­tern. In die­sem Sin­ne: Just do it.



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